Gewaltprävention in der Pflege

Gewaltschutzkonzepte in der Pflege

Gewaltschutzkonzepte sollen dazu beitragen, Gewalt in Pflegeeinrichtungen zu vermeiden. Doch in der Praxis sind sie bisher eher selten verankert. Ein Standardkonzept gibt es nicht. Bei der Entwicklung und Implementierung kommt es darauf an, alle Akteurinnen und Akteure einer Organisation zu beteiligen.

Wie können Schutzkonzepte zur Gewaltprävention beitragen?

Gewalt in Pflegeorganisationen ist ein hochrelevantes Thema, das lange Zeit tabuisiert war. Dies hat sich in den letzten Jahren teilweise verändert: Gewalt in der Pflege wird vermehrt wahr- und ernst genommen. Damit einher geht die (fach-)öffentliche Diskussion um geeignete Ansätze, mit denen Gewalt in Organisationen vorgebeugt werden kann.

Ein Ansatz sind organisationale Gewaltschutzkonzepte. Dabei steht der Einfluss der Organisation und ihrer Mitglieder auf die Entstehung und den Umgang mit Gewalt im Vordergrund.

Gewaltschutzkonzepte haben ihren Ursprung in der Kinder- und Jugendhilfe. Ihr Einsatz hat sich in den letzten Jahren – wenn auch zögerlich – auf andere Handlungsfelder und entsprechende Organisationen ausgeweitet, die mit vulnerablen Personengruppen arbeiten, wie Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen oder mit Pflegebedarf. Dabei wird angenommen, dass das Risiko für Gewalthandlungen in entsprechenden Einrichtungen durch organisationale Schutzkonzepte verringert werden kann. Allerdings scheint der Fachdiskurs hierüber in der Pflege noch am Anfang zu sein.

Grundlage für organisationale Schutzkonzepte ist zum einen die Annahme, dass in jeder Organisation ein Risiko für Gewalt besteht. Dies wird durch Machtasymmetrien zwischen den Organisationsmitgliedern – und insbesondere auch in Pflegebeziehungen – begünstigt. Diese Asymmetrien lassen sich nicht auflösen. Sie müssen jedoch immer wieder reflektiert und gestaltet werden. Zum anderen wird Gewalt nicht allein als ein Geschehen zwischen zwei Individuen – Täter bzw. Täterin und Opfer – verstanden. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Organisationen mit ihren Strukturen, Kulturen und Interaktionsmustern dazu beitragen, ob Gewalt entsteht oder vermieden werden kann. Es wird hierbei auch von einer Täter/Täterin-Opfer-Institutionen-Dynamik gesprochen.

Wie können Entwicklung und Umsetzung gestaltet werden?

Schutzkonzepte umfassen vier Prozessphasen: Risiko- und Ressourcenanalyse, Prävention, Intervention und Aufarbeitung.

In der Risiko- und Ressourcenanalyse geht es um einen Austausch über alltägliche Situationen, in denen das Risiko für Gewalt und Grenzverletzungen hoch ist. Ein dialogischer Prozess lässt sich über die Frage initiieren, in welchen Situationen sich die Menschen in der Organisation unwohl oder unsicher fühlen. Die Benennung derartiger Wahrnehmungen ist wichtig, da sie als Hinweise oder Signale verstanden werden müssen, dass in der Organisation entsprechende Handlungsbedarfe bestehen. Gleichzeitig dient dieser Schritt dazu, Ressourcen zu identifizieren, die für den Schutz bereits vorhanden sind.

Schließlich gilt es, Maßnahmen festzulegen, wie Gewalt so gut wie möglich in der jeweiligen Organisation vermieden werden kann, wie ggf. einzuschreiten ist und wie Vorfälle aufzuarbeiten sind. Denn auch wenn eine Organisation einen umfangreichen Präventionsprozess angestoßen hat, ist ein vollständiger Schutz vor Gewaltvorfällen nie gegeben.

Daher ist es zentral, dass Organisationen über ein standardisiertes Interventionsverfahren verfügen, das festlegt, was im Fall von (vermuteter) Gewalt zu tun ist. Die Erarbeitung eines solchen Verfahrens ist komplex. Es muss differenziert werden, ob es sich um einen Verdacht oder um einen bestätigten Fall handelt, ob ein Geschehen strafrechtlich relevant ist oder nicht. Organisationen müssen bei einem solchen Verfahren festlegen und transparent machen, wie Vorfälle dokumentiert werden, welche Datenschutzbestimmungen einzuhalten sind, wie Betroffene geschützt werden, wer eingeschaltet werden muss, darf und sollte, aber auch, wie zu Unrecht verdächtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rehabilitiert werden.

Im Rahmen eines organisationalen Schutzkonzepts bedeutet Aufarbeitung von Vorfällen, dass organisationsinterne fallbezogene Analysen von Gewaltereignissen durchgeführt werden, aus denen konkrete Maßnahmen abgeleitet bzw. Konsequenzen gezogen werden.

Was sollten Gewaltschutzkonzepte beinhalten?

Organisationale Gewaltschutzkonzepte sollten mindestens folgende Komponenten umfassen bzw. Bedingungen erfüllen:

  • Leitbild, in dem die Haltung zu Gewalt ausdrücklich formuliert ist
  • Verhaltenskodex
  • regelmäßige Fort- und Weiterbildungen zur Gewaltprävention
  • zielgruppengerechte Aufklärung über Rechte
  • Einsatz einer/eines Präventionsbeauftragten
  • Beschreibung von weiteren konkreten Maßnahmen zur Prävention von Gewalt und zum Umgang mit Vorfällen
  • Partizipationsmöglichkeiten (sowohl im Einrichtungsalltag als auch bei der (Weiter-)Entwicklung und Umsetzung des Gewaltschutzkonzepts)

Die Entwicklung und Implementierung eines Schutzkonzepts sollte als partizipativer Organisationsentwicklungsprozess erfolgen. Hierbei werden alle Beteiligten in der Organisation in Planungs- und Umsetzungsprozesse einbezogen, um möglichst alle Bedarfe zu berücksichtigen und um Akzeptanz, Motivation und damit nachhaltige Verankerung zu erzielen.

Was ist zur Etablierung von Gewaltschutzkonzepten zu tun?

Analysen zeigen, dass es eine Reihe von Pflegeeinrichtungen in Deutschland gibt, die sich mit dem Thema Gewaltprävention auseinandersetzen, hierzu spezifische Maßnahmen ergreifen oder sogar Schutzkonzepte entwickeln. Jedoch scheint die Verbreitung solcher Aktivitäten noch eher gering zu sein.

Zur Entwicklung und Implementierung von Gewaltschutzkonzepten in Pflegeeinrichtungen könnten wissenschaftsbasierte und zielgruppengerecht aufbereitete Handlungshilfen für die Praxis beitragen, zum Beispiel:

  • Universität Hildesheim: Arbeitsbroschüre zur Entwicklung von Schutzkonzepten in der stationären Altenpflege und Plattform mit Informationen zu Schutzkonzepten
  • Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Information und Beratung beim Aufbau von Strukturen zur Gewaltprävention
  • Stadt München: Leitfaden zur Entwicklung einrichtungsspezifischer Konzepte zur Gewaltprävention in der Langzeitpflege
  • Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO): Empfehlungen zur Gewaltprävention und Intervention in sozialen Einrichtungen
  • Malteser: Schutzkonzept zur Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt
  • PEKo-Projekt: Modulhandbuch zur Prävention von Gewalt in der stationären Pflege und Konzept zur Gewaltprävention in der ambulanten Pflege

Aber auch die Politik ist gefordert, etwa indem eine bundesweite Präventionsallianz aus Zivilgesellschaft, staatlichen Organisationen und Fachgruppen zum Gewaltschutz im Kontext Pflegebedürftigkeit initiiert wird. Ziel sollte es hierbei sein, eine sensitive Gewaltpräventionskultur in Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegewesens zu fördern. Hierzu sollte eine systematische Bestandsaufnahme und Analyse zu Lebensbereichen, Handlungsfeldern sowie bereits bestehenden Ansätzen und konkreten Umsetzungskonzepten für Präventionsmaßnahmen erarbeitet werden.

Zuletzt aktualisiert: 31.12.2022 Nächste Aktualisierung: 31.12.2027